Was bleibt


Mir fällt keine passende Grußformel ein. Das tut mir leid. Bei einem Gespräch mit zwei alten Freunden haben wir kürzlich darüber geredet, dass auf den Sozialen Medien Plattformen häufig nur die schönen Seiten des Lebens gezeigt werden, nur das Licht, das Glitzer. Und dass viel mehr auch über die schlechten Tage geredet werden sollte, damit wir mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkommen. Denn wir sind ja alle nur Menschen, aus Fleisch und Blut und gleichermaßen verletzt und gekränkt und so bemüht unseren Stolz und die Würde nicht zu verlieren. Ich bin ein Verfechter dieser Theorie, gerade unsere Abgründe machen uns doch so spannend. Ich möchte so sehr, dass die Menschen eines Tages zu ihren schlechten Angewohnheiten stehen und sich selbst mit mehr Humor nehmen. Wie aber soll ich das vermitteln, wenn ich es selbst nicht tue? Mir fällt es unheimlich schwer zu schreiben, wenn es mir nicht gut geht. Es ist gar nicht so, dass ich euch das nicht zeigen will (doch auch irgendwie schon, manche Dunkelheiten gehören einfach nichts Internet), mir fehlen dann einfach die Worte - im sprich- und im wörtlichen Sinne. Heute aber hat es mich gepackt, ich dachte, wenn nicht jetzt, wann dann?

Vielleicht ein kleines Update. Was bisher geschah: Nach dem letzten Sommer bin ich endgültig in die nächstgrößere Stadt gezogen, einer meiner liebsten Städte, am Wasser, am Deich, dorthin, wo ich hingehöre. Da habe ich dann zwei Monate Pflegepraktikum auf der Onkologie abgeschlossen, das war mit die wichtigste Erfahrung, die ich meinem Leben bisher freiwillig gemacht habe. Die sechs Monate Pflegepraktikum brauchte ich für die Bewerbung an einer tollen Uni mit antroposophischem Grundstein - daraus ist leider nichts geworden. Die Erfahrung mit den Menschen kann mir hingegen keiner mehr nehmen. Ich glaube, dass es viele Wege gibt, um zu sich selbst zu finden. Dass jeder Mensch etwas individuelles braucht, um sich näher zu kommen, sich zu besinnen. Für manche mag das eine Woche im Schweigekloster auf Bali sein, für mich ist das Arbeit mit Menschen. Tod und Krankheit erzählen viel mehr vom Leben als von sich selbst. 

Gerade überlege ich, warum der Post "Was bleibt" heißt. Was bleibt?

Wir befinden uns in diesem stetigen Wandel. Eines Tages wird das vielleicht weniger, vielleicht auch nicht. Im Gegensatz zu anderen in meinem Alter bin ich ein ziemlicher Fan von Routine geworden. Wenn im Leben absolut nichts sicher ist, weil man sich einfach auf rein gar nichts verlassen kann, schon gar nicht auf einen selbst, und noch weniger auf die eigenen Gefühle, dann tut es unheimlich gut, bestimmte Geraden, eine gewisse Konsequenz im Leben zu haben oder zu schaffen. Das ist das erste, was mir einfällt, wenn es darum geht, "was bleibt". Wir wollen alle so viel, wir können so viel erreichen, wir sind zu so viel fähig, vor uns liegt eine Zukunft mit immenser Verantwortung und Erkenntnis - und manchmal ist alles, was wir brauchen, etwas, das stetig und unaufhörlich kommt und geht und da ist, komme was wolle. So banal das auch klingen mag, manchmal ist alles was ich brauche, Halt. Halt kann man in überraschend vielen Dingen finden. In dem Fenster, in dem jeden verdammten Nachmittag diese schöne Katze auf meinem Heimweg sitzt. Darin, dass Mittwochs und Samstags immer Markt ist. Am Deich zu sehen, wie das Wasser steigt und sinkt. In jeder Nacht, sei es nun kalt, regnerisch oder sommerlich lau, das orangefarbene Licht der Straßenlaternen auf der müden Haut zu spüren. Dass es immer wieder, komme was wolle, Sommer wird. Dass die Mitbewohner einfach nie den Kaffeesatz aus der Französischen Presse holen. Dass ein Stück blauer oder tiefschwarzer Sternenhimmel unverhofft Glück beschert. Immer wieder daheim zu sein, wenn es in der ganzen Stadt nach frischgeröstetem Kaffee duftet. Und wie Obama so schön sagte: "Whatever happens tonight, tomorrow the sun will rise again."
Ich bin ziemlich froh, dass es diese roten Fäden gibt. Dinge, auf die wir uns verlassen können, weil sie außerhalb unseres Einflusses stehen. Danke, Erdanziehungskraft, Danke, Universum.


Was bleibt von dir und mir?
Habt ihr euch schon Mal gefragt, was von euch zurückbleibt? Was für ein Gefühl hinterlasst ihr in der Welt? Was wollt ihr hinterlassen? In den Leben der Menschen, die ihr verlasst? Ob es Lieder gibt, die jemand für immer mit euch verbinden wird? Einen Duft vielleicht, ein Essen, ein Cafe, eine Zeitung, ein Buch, ein Dichter, eine bestimmte Kekssorte. Wenn wir jemanden in unser Leben lassen, müssen wir gleichzeitig immer auch akzeptieren, dass er oder sie wieder geht. Ob in zwei Wochen oder 80 Jahren. Und (so geht es mir zumindest häufig) haben wir nicht meist nur eine Ahnung davon, welche Kreise dieser Mensch in unserem Leben gezogen hat? So als würden wir nachts klammheimlich ein Museum aufschließen, jemanden hineinlassen und ihm nur einen Aquarellkasten und sehr viel Material da lassen, damit er sich austoben kann. Und irgendwann kommen wir an diesen Ort zurück, und suchen und suchen und suchen, aber finden den Museumsbesucher nicht mehr. Spurlos verschwunden. Nur das gesamte Museum ist voll. Bis zum Rand gefüllt mit Bildern, mit Fotografien und Plastiken, Installationen, Filmen. Ich weiß, dass das eine komplizierte Metapher ist, aber ich kann mir vorstellen, dass sie auch irgendwo verständlich ist.
Wir lassen Menschen in unser Innerstes, um unser Leben mit ihren Farben zu färben und es mit ihren Händen zu formen. Da ist es doch auch nicht verwunderlich, dass, wenn sie gehen, unser Leben wie stumm wirkt. Und alles, ausnahmslos alles, erinnert an das, was fehlt. Wie ein stiller Vorwurf ist dann der Abdruck ihrer Hände. Als würde uns die Abwesenheit unverhohlen anstarren. Und alles, was man sieht ist eine Assoziationskette, die wie eine Schlange ist, sich selbst in den Schwanz beißend. Weil nichts voran geht, alles führt zum Ursprung, dorthin, wo der Künstler einmal vor der Leinwand stehend, fragend zurückgesehen hat, als würde er wissen wollen: Darf ich? Darf ich dich färben? Dein Leben formen, sodass ich ein Teil werde, den nichts anderes ersetzen kann? Warum verpassen wir diesen Augenblick? Warum ist es so häufig schon längst zu spät, diesen Schritt rückgängig zu machen? Vielleicht, weil wir dann niemals jemanden so nah an uns heranlassen würden. Weil es gut tut, die Konsequenzen unserer Entscheidungen erst einmal nicht absehen zu können.
Was wäre Liebe, wenn nicht fallen lassen, vertrauen und risikobereit sein?

Was bleibt, wenn alles, woran wir geglaubt haben, ins Wanken geraten ist? Und was ist eigentlich wirklich garantiert in unserem Leben? Eigentlich ist nicht mal unsere Routine vertrauenserweckend, nicht mal sie ist zu hundertprozent verlässlich. So viele Fragen, eigentlich hätte ich lieber etwas in sich abgerundetes geschrieben. Etwas beruhigendes, was euch mit einem guten Gefühl ins Wochenende gehen lässt. Aber so ist es im Moment leider nicht, Unstetigkeit ist gerade der Kern meines Lebens.


Ein positiver Aspekt darin ist vielleicht doch, dass es irgendwie immer noch funktioniert. Manchmal ist das Leben ein bisschen so wie schwimmen lernen, oder? Wir lernen etwas sehr schweres, und wissen nichtmal, ob das irgendwie richtig ist oder wir etwas falsch machen, müssen auf das hören, was uns gesagt wird, wie man eben zu schwimmen hat und finden schnell heraus, dass das nicht funktioniert, denn jeder schwimmt anders und muss für sich selbst erkennen, wie er oder sie schwimmt, manchmal hält uns jemand oben und wenn wir denken, oh ja, jetzt hab ich es, fällt uns auf, dass sie gar nicht mehr da sind, und das macht uns solche Angst, dass wir denken, jetzt gehen wir unter, jetzt ist es vorbei, aber schaffen es auf magische Art und Weise weiter zu paddeln und wenn wir Glück haben, merken wir eines schönen Moments, dass es gar nicht mehr so anstrengend ist und wir ein bisschen den Dreh raushaben und wir atmen können, vorankommen, und uns Stück für Stück durch Wellental nach Wellental arbeiten, ohne ganz genau zu wissen, wo es hingeht.



 


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