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Der Himmel über Berlin


 
Und dann war es wieder soweit. Du musstest weinen, als du die tote Gans im Kanal treiben sahst. Du musstest hinter der Sonnenbrille weinen, als der Dackel, den du sonst religiös gefilmt hast, an dir vorbei wackelte. Du musstest weinen, als du das leere Nest der Haubentaucher sahst. Du musstest weinen, als die Blesshuhn-Küken auf dem Kanal tauchen übten. Du hattest wieder Ohrwürmer von Liedern, die dir das Herz brachen. Bei jedem Toilettengang während deiner Schicht ließt du dir gut durch den Kopf gehen, ob du eine Weinpause brauchst. Denn dann wäre der nächste Slot erst in einem adäquaten Abstand frei. Der gute alte Zyklus. Wieder aßt du nichts, wieder Kopfschmerzen und Übelkeit, wieder keine Luft bekommen. Einmal musstest du lachen, weil du vor Sauerstoffmangel aufgrund des zusammengekrampften Brustkorbs gähnen musstest zwischen zwei Schluchzern. Das war irgendwie niedlich, dachtest du. Müde warst du wirklich. "Ich hoffe, dir geht es bald besser." Sowas machte dich wütend. Du konntest nicht genau sagen, warum. Aber sauer warst du. Sehr sauer. Ausnahmsweise schautest du nun mal Serien und Filme, die nicht spannend waren, sondern einfach nur unterhaltsam. Keine Podcasts zur Selbstoptimierung, kein neues Buch für deinen Psychoedukationsreigen. Du schaltetest schnell die drei ??? an, sahst dir nur noch Comics und Modern Family an. Deine Mitbewohnerin und ihr Freund ließen dich von ihrer kalten Spezi trinken und deine anderen Mitbewohnerinnen machten dir Obstsalat. Sie schnitten Apfelschnitze wie deine Oma und deine Mutter und du gabst dir Mühe, nicht daran zu denken. 

"Wir alle wissen, was wir an dir haben." "Du bist so warm, dass ich mich dabei erwische, wie ich gern ich selbst bei dir sein möchte." "Wir kennen uns zwar nicht, aber ich musste dir einfach schreiben, weil du so viel Liebe ausstrahlst. Trinken wir mal einen Kaffee?" "Danke, dass du deine Liebe so großzügig an uns verteilst." 

Du liebtest die Wissenschaft dafür, dass alles kontrolliert und geregelt ablief. Aber nicht, wenn sie dir unangenehme Wahrheiten auftischte. Bei der gigantischen und wirklich repräsentativen Stichprobe an Menschen, die dir ihre Wertschätzung daließen, von Verwandten bis zu wortwörtlichen Fremden, an all diesen Worten musste doch irgendwas dran sein? All die Menschen, die dir Liebe und Zuneigung in ein großes Bad einließen, immerwährend warm und sicher. Ohne etwas dafür zurückzubekommen, außer dein betretenes Schweigen. Mittlerweile sprach also nichts mehr gegen den Wahrheitsgehalt ihrer Worte, und trotzdem fühltest du dich wie das kleine Kind, das in unbequeme, kratzige Wollkleidung gesteckt wurde, die überall zwickte. Warum zwickte denn Wertschätzung so? Vielleicht, weil du dich stets sorgtest, man könnte dich enttarnen. 

Doch dann gab es die Menschen, die dich kannten, in und auswendig. Und die sorgten dafür, dass du mit ihren Worten auf dem roten Teppichboden saßt, in der Dunkelheit und Stille des großen Hauses. Und wenn niemand dir zusah, niemand dich hören konnte, niemand reinplatzen und rufen könnte: "Ha! Da haben wir sie! Die falsche Schlange!" - dann ließt du sie zu, die Fantasie, sie alle könnten Recht haben. Und dich sogar besser kennen als du dich selbst. Denn die Färbung, in der du dich kasteitest, vielleicht war sie die falsche. Wie ein teures Kleid, das du nie anzogst - weil es etwas selbstverherrlichendes hatte, sich so zu kleiden - legtest du diese Fantasie an. Vielleicht, vielleicht, vielleicht, hier, auf dem roten Teppichboden, im Supermond im Juli, vielleicht lag darin auch etwas Wahrheit. Vielleicht warst du liebenswürdig. Allem zum Trotz. Oder aufgrund allem. Und vielleicht war es auch langsam aus der Mode so hart zu sich zu sein. Ein bisschen lächerlich kamst du dir eben auch dabei vor. Was für ein Theater. So viel Lärm um Nichts. 
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Wir reden am Telefon über die sonderbare Situation, sich nicht vergleichen zu können. Es fühlt sich an, wie die Lust auf eine Zigarette: Sehnsucht, Lust, Sucht, Impulskontrollaussetzer und Umsetzung, Erlösung. Der bittere Geschmack im Mund. Das Brennen in der Brust. Und der unterdrückte Husten klingt fast wie Reue. Du magst dich vergleichen, aber dieses Mal geht das nicht. Keine Zigarette, kein Feuer. Irgendwie schön, dass Menschen zu einem Feuerzeug Feuer sagen. Feuerzeug. Als wäre ein Ventilator ein Windzeug. Und ein Wasserhahn Wasserzeug. 
 Sie fragt dich, weil sie so schlau ist, so clever, wie jemand sein müsste, damit du das gewünschte Vergleichsgefühl erreichst. Was hoffst du, zu sehen? Was hoffst du, nicht zu finden? Und natürlich, weil sie dich so gut kennt, läufst du mit der Frage in das soeben selbst geschaufelte Grab. Sich zu vergleichen ist zwangsläufig verbunden mit traurigen Konsequenzen. 
 Was denn, wenn die Person „besser“ ist? Heller, leichter, leiser, dünner, feiner, sanfter, größer, weiter, stärker, unauffälliger, bequemer, zarter, heiler, wärmer. Und dann? 
 Was denn, wenn die Person „schlechter“ ist? Kleiner, dicker, lauter, dümmer, gemeiner, unreifer, gröber, klobiger, kantiger, kälter, schroffer, härter, loser, opportunistischer, dunkler, roher. Und dann? 
Spannend auch, dass sich einige Adjektive derselben Liste widersprechen. 
 Wir kommen wieder an dem Punkt an, an dem wir vorher waren: Du weißt nicht, was du wert bist, wenn es dir niemand anderes sagt. Das ist ziemlich traurig. Dein Wunsch, ein anderer Mensch zu sein, ist eigentlich der Wunsch danach, so zu sein, dass du gemocht wirst. Wir zwei wissen ganz genau, dass, egal was sich ändert, immer dasselbe Ergebnis wartet. Irgendwann, irgendwo – wir wissen eigentlich, wann; wir wissen genau, wo - lerntest du, dass du nicht liebenswert bist, wie Radfahren. Wie verlernt man so etwas basales, tiefgreifendes? 
 Doch unter der Dusche denkst du, dass du so behandelt werden möchtest, wie du andere behandelst. Den gewährten Vertrauensvorschuss, die Nachsicht, den Vorbehalt. Das alles magst du auch haben. Und je nebeliger das Bad wird, je heißer das Wasser, desto klarer und kristalliner wird das Bewusstsein. Du weißt schon, was du verdient hast. Du weißt, was du wert bist: das, was du anderen gibst. Wärme, Zuneigung, Humor, Bewunderung, Aufmerksamkeit, Raum. Raum. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit willst du auch gar nicht schön sein. Du willst gewertschätzt werden. Du sagst nur „Ich wäre gern (hier füge man Adjektiv aus obigen Listen ein)“, weil dir die richtigen Worte fehlen. Du willst nicht talentierter sein, du willst nicht schöner sein, du willst nicht die Vergleichsperson sein. Du willst du sein. Und dann so gewollt werden, wie du bist und willst. Du willst dich. Und das ist doch was Schönes?
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